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Ländliche Urbanität ?
Urbanität versus Provinzialität
Stadtgewohnheiten
Stadtflucht
Urbanität als geistige Haltung
Orientierung versus Überschaubarkeit
Wissenschaft des Städtebaus (Erich Raith,
TU Wien)
Der folgende Text kreist um die Sehnsucht nach und den gleichzeitigen
Widerwillen gegen das Städtische. Das Paradox von Ländlichkeit
und Urbanität dient dabei als Einstiegspunkt in einen Reflexions- und
Bewusstseinsprozess an dessen Ende sich vermutlich sowohl das Ländliche,
als auch das Urbane auflösen werden.
Der gedankliche Ausgangspunkt:
Urbanität wird vordergründig oft auf bauliche Dichte, oder auf
das Bild der Metropole verkürzt. Jeder Stadtreisende hat jedoch schon
die Öde und Bedrängnis immer gleicher, synthetischer Einkaufsstraßen
oder die Tristesse uniformer Neugründungen erlebt. Bekannt ist auch
die Polemik von Adolf Loos über Städte, die nicht mehr seien als
ein „siebenstöckiges Mährisch-Ostrau“. Eine Stadt kann also auch
provinziell sein. Dieser Diskurs versucht die Umkehrung dieses Satzes: Die
Suche nach dem Land oder besser einer nicht städtischen Region, die urban
ist.
Gibt es Urbanität im nichtstädtischen Raum
?
Gibt es "Ländliche Urbanität" als spezifische
Qualität einer Region ?
Urbanität versus Provinzialität
Zur Abgrenzung seien hier verkürzt die Arbeitsbegriffe Stadt und
Land im gemeinhin verständlichen Gebrauch angewandt und bezeichnen bauliche
Erscheinungsformen. Mit "Urbanität" oder dem "Städtischen" beziehe
ich mich auf jene immaterielle Qualität oder Bewusstseinsform, die
im allgemeinen Sprachgebrauch ihren Ausgangspunkt in der Unterscheidung
von "Stadt" und "Land" genommen haben. Mit dem Ansatz Urbanität von
baulicher Dichte zu lösen und Urbanität als eigenständiges
Phänomen zu betrachten, verlieren sich triviale Assoziationsketten und
sie beginnt als spezifische Qualität schärfere Konturen und in
Folge ungewohnte, aber produktiv neue Erscheinungsformen anzunehmen. Urbanität
beschreibt jenes kulturelle Faszinosum, das durch Dichte, Synergie und Gleichzeitigkeit
von Informationen, Kulturen und Lebenskonzepten ausgelöst wird. Ein
Erlebnis, das ursprünglich an Knotenpunkten von Metropolen, zu bestimmten
Ereignissen, aber auch andernorts durch das Zusammentreffen und Zusammenfließen
von Unerwartetem eine Art Euphorie, ein Aufheben der Schwere von Raum und
Zeit auslösen kann. Die zufällige Begegnung in der Straßenbahn,
Kontakte zu Fremden durch gemeinsame Freunde, das beiläufige Gespräch
in einem Cafe mit einem Tischnachbarn, das überraschend in einen neuen
Themenkreis führt, das unerwartete Bild in einer Auslage, das zu einer
lang ersehnten Inspiration wird . . .
Stadtgewohnheiten
Der „stadtgewohnte“ Betrachter trifft jedoch auch in Vorarlberg auf Momente,
Ereignisse und auch Orte und Personen, die dieses vertraute Gefühl von
Urbanität auslösen. Die Existenz überregional bedeutsamer Museen
und kultureller Institutionen sind solche Kristallisationspunkte, an denen
Verbindungen zu internationalen Netzwerken entstehen.
Der Besuch im Kunsthaus Bregenz beispielsweise, ein hochspezialisierter
Vortrag über das Bildverständnis des Künstlers Gerhard Merz,
oder ein Abendessen nach einem Konzert der Schubertiade mit internationalem
Publikum können jene Qualität entstehen lassen.
Gleiches gilt für international tätige Unternehmen mit Sitz in
Vorarlberg oder auch spezialisierte Dienstleister von internationalem Rang,
welche die Qualitäten der Region schätzen und zugleich Autobahnen,
Flughäfen und Telekommunikationsnetze zur Verbindung mit den individuellen
Netzwerken nützt. Wenn diese individuellen Netzwerke auch offene Schnittstellen
besitzen und für einen unerwarteten Kontakt offen sind, wenn Lebensentwürfe
auch entsprechend tolerant gehandhabt werden, bereichern sie diese Urbanität.
Stadtflucht
Dass dieser Rückzug aufs „Land“ oder einfach an den Herkunftsort stattfindet,
hängt mit der Bedeutsamkeit familiärer und sozialer Integration
zusammen. Aber auch die Wertschätzung von Landschaft und Natur (ohne
genauere Diskussion der Begriffe) sind Gründe, ein städtisches Umfeld,
das für viele durch berufliche Tätigkeit oder Studium erlebt wurde,
zu verlassen. Stadtflucht.
Urbanität als geistige Haltung
Eine Anhäufung oder Vernetzung dieser Stadtflüchtenden, aber auch
die immer konsequenter werdende Durchdringung mit überregionalen Informationsnetzwerken
führt zu spontanen Kristallisationen von Urbanität. Gemeinsame Freunde
in Kopenhagen werden in einem Gespräch plötzlich relevanter als
der letzte Streit im lokalen Gemeinderat.
Der beharrliche Gebrauch von Ideen und Gewohnheiten, die als Überlebensstrategie
in der Informationsdichte eines städtischen Alltags erlernt wurden, entwickelt
sich schließlich zu Urbanität als geistige Haltung.
Orientierung versus Überschaubarkeit
Das Konzept der „totalen Landschaft“ (nach Rolf Peter Sieferle) löst
den Dualismus von Stadt und Land auf, aber die Phänomene, die kulturellen
Wirkungsfelder bleiben bestehen.
Deren Gleichzeitigkeit, deren Rivalität ist in Vorarlberg/im Vorarlberger
Rheintal häufig spürbar. Zumeist als Reibung unterschiedlicher Lebenskonzepte
und Alltagsgewohnheiten. Diese Vielfalt bedeutet aber sogar eine notwendige
Qualität, um jene Impulse des Neuen und Unerwarteten zu leisten. Entscheidend
ist aber der Umgang von Medien, politischen und kulturellen Entscheidungsträgern
mit diesem Phänomen. Der Umgang mit Urbanität ist auch nach außen
ein kritisches Signal über eine regionale Identität und von Bedeutung
für frischen Input und die Fähigkeit zur laufenden Erneuerung.
Wissenschaft des Städtebaus
Dazu Erich Raith, seit 4 Jahren Interimistischer Leiter des Instituts für
Städtebau, TU Wien über die Wissenschaft des Städtebaus:
„Im Moment passiert etwas sehr Spannendes. Nachdem man Jahrzehnte lang mit
den Methoden der Raumplanung versucht hat, gegen die Zersiedelungstendenzen
anzukämpfen, und das aus guten Gründen auch heute noch macht, hat
man zum Teil auch erkannt, dass diese Instrumente untauglich sind, weil man
damit nicht wirklich auf diese Systemkomponenten zugreifen kann. Es ist der
Versuch, Symptome zu bekämpfen - kosmetisch, aber wenn man die Motoren
hinter dieser Entwicklung nicht in die Hand bekommt, wird man in diesen Bestrebungen
nicht effizient sein können.
Das was in der Raumplanung heute passiert, ist, dass man eher aufhört,
den urban sprawl, diese Zersiedelungsbewegungen, als totale Fehlentwicklungen
zu sehen, gegen die man sich stemmen muss - in der Gewissheit des Scheiterns,
und man beginnt, sich für dieses Phänomen zu interessieren, man
beginnt, es ernst zu nehmen. Wenn dies schon so passiert, wenn soviel individuelle
Interessen da sind, die hinter diesen Entwicklungen stehen, wenn man das so
schlecht steuern kann, was ist es also wirklich? Hat es eine Logik?
Es hat also nicht mehr die Logik der alten Stadt und ist deshalb nicht mit
den klassischen städtebaulichen Zugängen zu beherrschen. Es hat
auch nicht mehr die Logik der klassischen Kulturlandschaft, deswegen ist es
auch nicht mit diesen landschaftsplanerischen Zugängen zu beherrschen.
Es entsteht etwas Neues. Es entsteht ein Gemisch aus urbanen, ruralen ,
landschaftlichen und völlig neuen Phänomenen. Dies entsteht aufgrund
von vielen individuellen Entscheidungen, die alle für sich rationell
sein mögen, d.h. klarerweise ist dies eine kulturelle Leistung, die
dieses hervorbringt, es ist aber wieder ein neuer Transformationsprozess
des Territoriums, wo neue Mischungen von ländlichen, landschaftlichen,
städtischen Aspekten stattfinden, wo sich diese Grenzen auflösen,
wo ein Lebensraum entsteht, wo ein wesentlicher Faktor des Urbanen da ist,
nämlich dass Leute sich entscheiden können, welche Alltagskultur
sie praktizieren. Weil es ein breiteres Spektrum gibt zu leben, sich zu entfalten,
wo man ganz unterschiedliche Lebensentwürfe realisieren kann.“
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Robert Fabach
< . . .
erschienen im Februarheft "Kultur">
Im Rahmen der Ausstellung „Austria West“ veranstalteten die Architekten
Heike Schlauch & Robert Fabach - raumhochrosen mit Unterstützung
des Vorarlberger Architektur Instituts am 7. Febr. 2004 den Workshop „Rheintal
2043 – Ländliche Urbanität“, der dem oben beschriebenen Fragenkreis
nachging.
Die eingeladenen Teilnehmer als "Bewohner" von spezialisierten, überregionalen
Netz-werken haben gemeinsam mögliche Verflechtungen und die äußeren
Ränder einer sol-chen Urbanität ausgelotet.
Was sind die Potentiale und Entwicklungsmöglichkeiten von Urbanität
in den Regionen ?
Wie sehen Kristallisationspunkte für Urbanität aus ?
Wie sieht eine "Stadtkarte" von Knotenpunkten dieser überregionalen
Netzwerke aus?
Zugleich kann daraus ein Signal an die Politik oder auch die regionale Raumplanung
entstehen, Kulturpolitik, Medienvielfalt oder entsprechende Infrastrukturen
als wichtige Faktoren in einer solchen Entwicklung zu sehen.
Um 20 Uhr fand im Ausstellungsraum des Vorarlberger Architektur Institut
eine öffentliche Präsentation der Eindrücke aus diesem Workshop
statt.
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