Hohenems festigt seinen kontroversellen Ruf mit planmäßigen
Aufregungen um die Errichtung seines Stadtsaals. Der geplante Standort an
der Stelle des baufälligen Gasthofs Löwen, die Saalgröße,
aber auch die Gestaltung selbst sind Gegenstand mehr oder weniger qualifizierter
Kampagnen, denen aber zumeist etwas von Theaterdonner anhaftet.
Wer sich nicht mit dem Anblick des Schauspiels aus der Ferne begnügt,
und die "Heldentenöre" etwas zur Seite schiebt, stößt in
Hohenems auf eine Reihe von weit vernetzten Initiativen, die zum Teil seit
vielen Jahren engagierte Arbeit leisten. Was dabei auch zu Tage tritt, sind
ernst zu nehmende Themen und hierorts sich etwas schärfer abzeichnende
Problematiken, die aber allesamt symptomatisch sind für die Gemeinden
des Rheintals:
Stadtentwicklung versus Dorfidylle, Raumplanung als Schwarzer
Peter der Region und das Auseinanderdriften von kulturellen Identitäten.
Inhalt:
> Die Stadt als Abbild kultureller und gesellschaftlicher
Energien.
> Infrastrukturen als neue Zentren
> Über Häuser im Kopf und die Ökonomie
des Bodens.
> Die verlorene Bürgerlichkeit
> Verlust und Wiederentdeckung
> Mühevolle Stadtwerdung
> Urbane Netzwerke
> . . . und jetzt, was ist mit dem neuen Stadtsaal
?
> Kulturkampf am Schlossplatz
> Bauen als öffentliche Angelegenheit
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Die Stadt als Abbild kultureller und gesellschaftlicher
Energien.
Ein häufig zu hörendes Argument in formalen Fragen der Architektur
ist die Sorge um das Historische, die Sorge um das „Bild“. Doch das malerische
Stadtbild ist eine Erfindung des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts.
Dabei wird freundlich ausgeblendet, dass visuelle Präsenz zumeist eine
Frage der Macht ist und sich Gebäude und Plätze entsprechend den
Wechselfällen des Zufalls und der Geschichte immer in einem Prozess
der Wandlung befunden haben. Nur außergewöhnliche kulturelle Homogenitäten
oder Machtkonzentrationen haben zusammenhängende gestalterische Ordnungen
hervorgebracht. Bis heute ist das bauliche Erscheinungsbild Zeichen kultureller
und gesellschaftlicher Energien: Kinozentrum und Fastfoodrestaurant als Ergebnis
aktiver Konsumgewohnheiten, die Kirche als Ausdruck klerikaler Macht, der
Palast als Wertschätzung einer feudalen Hochkultur.
Infrastrukturen als neue Zentren
Die Kombination aus Kirchplatz und Dorfgasthaus sind als gesellschaftlicher
Mittelpunkt zurückgetreten. Die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche
und das Diktat der großen Zahl hat Infrastrukturen zu den neuen Zentren
unseres Alltags gemacht. Ein Printmedium, das täglich 80% der Vorarlberger
Bewohner erreicht, eine Autobahn, die 200.000 Menschen innerhalb von 30 Minuten
kurz schließt, sind als Kommunikationsmedien - und das waren Dorfplätze
früher - ungleich effektiver. Am Hohenemser Schlossplatz ein Seminar-
und Tagungszentrum zu errichten, wäre ein extrem mühseliges Unterfangen.
Die ortlose Architektur der kürzlich errichteten Autobahnraststätte
hat das so reibungslos in sich aufgenommen, dass es kaum wahrgenommen wurde.
Das Kinozentrum an der Autobahnabfahrt mit Mehrfachgastronomie oder der Baumarkt
mit 10.000m2 Verkaufsfläche sind in den geistigen Landkarten vieler
Jugendlicher und der einfamilienhausbewehrten Do-it-yourself-Generation ungleich
tiefer eingegraben als die Hohenemser Marktstrasse. Im Konkurrenzkampf der
Gemeinden um Steuereinnahmen und Frequenz ist der geplante Ausbau der Rheinauen
zum Erlebnisbad eine logische Ergänzung zum schnell gewachsenen neuen
Zentrum an der Peripherie.
Die Menschen wieder zu den alten Zentren bekehren zu wollen, käme hoffnungsloser
Weltverbesserung gleich. Die Innenstädte sind für diese Nutzungen
natürlich keine Alternative, dennoch spielt es eine Rolle, wie weit
deren spezifische Möglichkeiten erkannt und gefördert werden.
Über Häuser im Kopf und die Ökonomie
des Bodens.
Als großes Hindernis in der Nachverdichtung und der Aufwertung von
Kernbereichen zeigt sich die Vorstellungswelt vieler Grundeigentümer,
aber auch des Gesetzgebers. Wer ein freies Stück Boden besitzt, geht
davon aus, dass er oder seine Nachfahren darauf ein „Hüsle“ bauen werden,
ganz gleich, ob dieses Stück Land mitten im Ried oder an einer Hauptverkehrsstraße
liegt. Als die Hohenemser Stadtplanung Kontakt aufnahm mit den Eigentümern
eines unbebauten Wohngebiets unmittelbar am Autobahnzubringer, hatten einige
die Errichtung einer Lärmschutzwand erwartet. Die letztendlich durchgeführte
Umwandlung in eine geschlossene, mehrgeschossige Bauweise war anfangs unvorstellbar
und brauchte geduldige Überzeugungsarbeit. Im Hinblick auf etwaige Diskussionen
über das Rheintal scheint die mangelnde Vorstellung der Vorarlberger
von hochwertiger Verdichtung ein zentrales Vermittlungsproblem zu sein.
Dieser Erwartungshaltung entspricht auch das Vorarlberger Baurecht und nimmt
in zahlreichen Vorschriften - Grenzabständen, verpflichtenden Parkplätzen,
etc. - das freistehende Einfamilienhaus vielfach zum Maßstab. Der ungebrochen
hohe Wert von Eigentumsrechten im Vergleich zu kommunalen und gesamthaften
Anliegen stellt auch Hohenems vor gewaltige Probleme. Geschlossene Bebauung
zu ermöglichen, ist nur unter besonderen Voraussetzungen möglich.
Die Hohenemser Stadtplanung hat hier zum in Vorarlberg unüblichen Mittel
des Bebauungsplans gegriffen, um für kritische Gebiete konkrete Bebauungsvorschriften
zu entwickeln. Nach der Diepoldsauer Straße (ein Wohn- und Gewerbegebiet
am Autobahnzubringer) und Emsreutte wird ein solcher Teilbebauungsplan für
die Innenstadt erstellt und lässt eine Lösung erwarten, um diese
Kerngebiete wieder für den zweifellos vorhandenen Bedarf nicht nur verfügbar,
sondern auch durch eine sukzessive Aufwertung interessant zu machen.
Die verlorene Bürgerlichkeit
Die oben genannten Gründe und die komplizierten Eigentumsverhältnisse
sind Ursachen für den schon Jahrzehnte andauernden Verfall der Hohenemser
Altstadt. Dazu kommt eine mangelnde Identifikation mit einer Bausubstanz,
die in einer zwar kleinstädtischen, aber bürgerlichen Tradition
entstanden ist. Deren Träger waren zu einem guten Teil Hohenemser Juden,
die schon Mitte des 19. Jahrhunderts abzuwandern begannen. Dieser vorerst
halb freiwillige Exodus, begünstigt durch die Freizügigkeit des
1867 eingeführten Staatsgrundgesetzes, verkleinerte innerhalb von etwa
10 Jahren die jüdische Gemeinde von rund 550 Personen auf ein Drittel,
führte 1912 zur Schließung der jüdischen Schule und fand
in der Auflösung und Deportation der verbliebenen jüdischen Gemeinde
1938 seinen gewaltsamen Abschluss.
Verlust und Wiederentdeckung
Die mangelnde Instandhaltung vieler Häuser und deren oft spekulative
Vermietung an MigrantInnen, die den Substandard der Gebäude noch akzeptierten,
hatten nicht nur das ehemalige Jüdische Viertel, sondern auch die Marktstrasse
– ehemals „Christengasse“ – in einen desaströsen Zustand gebracht. Seit
1989 die öffentliche Diskussion um das 1994 letztlich abgebrochene „Bernheimer-Haus“
entstand, hat sich einiges verändert. Die Eröffnung des Jüdischen
Museums 1991 hat die Aufmerksamkeit sukzessive auf die historische Bedeutung
des gesamten Areals gelenkt und die turbulente Einführung des Ensembleschutzes
1993 für das ehemaligen jüdische Viertel durch das Bundesdenkmalamt
hat verschiedene Entwicklungen ausgelöst. Zum einen hat das Jüdische
Museum eine intensive und erfolgreiche Informationsarbeit zur Vermittlung
des kulturellen Erbes der in Vorarlberg einzigen jüdischen Gemeinde
begonnen, zum anderen wurden die Grundlagen geschaffen für die schließlich
von Gerhard Lacha in privater Initiative durchgeführten Renovierungen
des Elkan-Hauses (1997) und vier weiterer Gebäude. Der zur Zeit stattfindende
Umbau der ehemaligen Synagoge zu einer Musikschule und deren gestalterische
Wiederherstellung finden ebenfalls auf sein Betreiben statt. Der kommerzielle
Hintergrund dieser Initiativen erregte mitunter neidvolles Murren, kann aber
angesichts der bisherigen Resultate und der nicht unerheblichen Risiken,
die mit der Sanierung denkmalgeschützter historischer Bauten verbunden
sind und dem Einverständnis des Denkmalamtes als erfolgreiche Lösung
betrachtet werden.
Stärkung der Substanz und der Blick auf
die Region.
Potential der Stadtkerne - Mühevolle Stadtwerdung
Verschiedene kompetente Studien zur Stadtentwicklung von Hohenems hatten
auf die Bedeutung dieses innerstädtischen Kerngebietes hingewiesen und
zum Teil sehr konkrete Vorschläge erarbeitet:
Bebauungsstudie Innenstadt (1975), Rahmenplan Stadtmitte (Scheible 1992),
ein Verkehrskonzept (1997) und ein räumliches Entwicklungskonzept (2003)
des Büros Metron und schließlich der Städtebauliche Ideenwettbewerb
und Studien zum historischen Stadtkern von 1998 bis 2000 (Czech, Märkli,
Wiederin, Gnaiger, Meili). Dazu kommt aktuell eine Kulturstrategie der Kulturmanagerin
Dr. Eva Häfele, die auch in die Bedarfsermittlung zum neuen Stadtsaal
einbezogen wurde. Diese Grundlagen sind zwar intern präsent, finden
aber in der Umsetzung und den Turbulenzen der Hohenemser Tagespolitik ihre
Grenzen.
All diese Arbeiten attestieren Hohenems ein überdurchschnittliches Potential
und weisen relativ einheitlich auf die Bedeutung von Kultur und Dienstleistung
hin. Wie Bregenz - mehr geschoben als gegangen - nur durch die beherzte Initiative
Einzelner den Weg zur Errichtung des Kunsthauses beschritten hat, so wird
auch Hohenems nur durch entschiedene Beharrlichkeit und einem deutlichen
Bekenntnis zum Thema Kultur zu entsprechenden Einrichtungen finden. Allzu
euphorische Umarmungen von Kulturinitiativen durch offizielle Einrichtungen
sind ja bekanntlich deren sicherer Untergang und als solches auch nicht zu
erwarten. Insofern wäre ein Transmitter-Veranstaltungszentrum am Schlossplatz
für beide Seiten der verkehrte Weg.
Urbane Netzwerke
Der Vergleich ist zwar nur bedingt zulässig, aber auch die Wiener Innenstadt
war Ende der 70er Jahre von wachsendem Verkehr, Stadtflucht und baulichem
Verfall bedroht, bevor die Rückeroberung durch den Fußgänger
und nicht zuletzt durch die (Sub-)Kultur dem Zentrum schließlich zu
einem neuen kulturellen und wirtschaftlichen Selbstverständnis verholfen
hat.
Wenn Urbanität nicht an Häuserschluchten und endlosen Straßenzügen
festgemacht wird, sondern als die Gleichzeitigkeit und produktive Durchdringung
unterschiedlichster Netzwerke gesehen wird, kann man in Vorarlberg einiges
an Urbanität erkennen. Hohenems hätte mit seinen lebendigen Kulturinitiativen
einiges dazu beizutragen. Das jüdische Museum beispielsweise hat genauso
wie die Schubertiade oder das Transmitter-Festival so viele überregionale
Anknüpfungspunkte, dass ihre Wirksamkeit und Bedeutung nicht nur an
Hohenems gemessen werden kann. Wenn die Stadtpolitik diese als Bedrohung
einer Idylle wertet, und ihnen nur widerwillig einen Platz im Stadtbild einräumt,
werden Kulturkämpfe um eine traute Dörflichkeit weiter an der Tagesordnung
bleiben und viel dieser Energien blockieren.
. . . und jetzt, was ist mit dem neuen Stadtsaal
?
Die bisherigen Ausführungen mögen als Kontext gelten, um sich dieser
Frage sinnvoll zu nähern. Die Definition des Schlossplatzes im Zusammenhang
mit der gesamten Innenstadtentwicklung stünde sicher am Beginn und die
Klärung des Bedarfs wäre der nächste Schritt. Mit diesen Vorgaben
und dem Bewusstsein über die Bedeutung des Projekts hätte dann
ein Wettbewerb zur Erlangung eines Entwurfs durchgeführt werden können.
In diesem Fall wurde genau der umgekehrte Weg beschritten.
Der Gestaltungsbeirat, erst nach erfolgter Ausschreibung des geladenen Wettbewerbs
zugezogen, protestierte zwar, hat sich sonst aber mit seiner kommentierenden
Rolle beschieden. Eine nachdrückliche Beratung in Fragen der Durchführung
hat hier offenbar gefehlt oder wurde ignoriert.
Die erste Phase hat den Umgang mit dem Bestand offengelassen und die Architekten
Drexel, Spagolla und Huber haben grundverschiedene Lösungsansätze
gebracht. Totalabriss, Teilerhalt und eine Renovierung. Daraufhin wurde der
Abbruch des Kopfbaus und der Erhalt des Saals als Grundlage für eine
weitere Überarbeitung festgelegt, um im Anschluss an die Juryentscheidung
für den Entwurf von Arch. Drexel wieder verworfen zu werden. Daraus
resultierte dann der Entwurf für ein neues Gebäude, das der alten
Raumaufteilung folgt, die angesichts seiner Bedeutung als Eckgebäude
noch zu hinterfragen wäre.
In der Vorgangsweise und Diskussion um die Planung des Stadtsaals wurde der
Fokus viel zu eng gestellt und erst im Nachhinein langsam erweitert, als
man sah, dass die Vorgaben nicht die gewünschten Resultate brachten.
Kulturkampf am Schlossplatz
Die entnervten Architekten wurden quasi im Kreis geschickt und jetzt gerät
jede noch so sachliche Argumentation rasch ins Fahrwasser von kulturideologischen
Grabenkämpfen. Alt - Neu, da- dort, Hohendisney oder Glaskisteninvasion.
Dennoch. Dieses neuralgische Grundstück am Angelpunkt von Marktstrasse-Jüdischem
Viertel und dem Schlossplatz ist ein strategisch zentraler Punkt im öffentlichen
Raum der Stadt. Eine möglichst öffentliche Nutzung wirkt
auf beide Bereiche und definiert ihren Zusammenhalt.
Der Standort des Stadtsaals ist auch Ausdruck der Stellung des Gemeinwesens.
Nach außen für den Besucher, aber vor allem auch als Signal für
die Hohenemser. Im Präsentationsbereich von Kirche und Palast wäre
eine Präsenz der Gemeinde, vielleicht auch so etwas wie einer Bürgerlichkeit,
eigentlich selbstverständlich. In der zweiten Reihe oder sich gar verschämt
am Stadtrand zu scharen, wäre eine Kapitulation des öffentlichen
Lebens vor einer undefinierbaren Historie.
Bauen als öffentliche Angelegenheit
Der Fehler, Gebäude von öffentlichem Interesse rasch „hinbiegen“
zu wollen, um möglichst wenig Wind und Kosten zu erzeugen, kommt auch
im „Architekturwunderland Vorarlberg“ vor. Auf jeden Fall ist es riskant
und ein nachhaltiger Verlust an Chancen für ein ganzes Umfeld. Was mit
der Studie „Ein Viertel Stadt“ eine qualifizierte Aufbereitung erfahren hatte,
fand hier - so ist zu hoffen - nur eine Unterbrechung.
Eine Reihe von positiven Beispielen zeigt, wie aus einer Bauaufgabe ein Landmark,
ein Identifikationspunkt werden kann, oder wie Synergien für eine Reihe
von Funktionen entstehen. Das Veranstaltungszentrum „Am Bach“, der Lustenauer
Marktplatz, aber auch die Gemeindezentren von Schoppenau oder Thal mögen
hier genannt sein. Wer das Bauen auf technische oder kaufmännische Fragen
beschränken will, verkennt schlicht die Realität.
Warum wurde kein offener Wettbewerb um diesen so städtebaulich sensiblen
Punkt durchgeführt, der ein breiteres Spektrum an Lösungen gebracht
hätte? Einen vermeintlichen Informationsvorsprung der drei eingeladenen
Architekten anzuführen, die bereits mit Planungen am Schlossplatz befasst
waren, käme einer Verhöhnung des Architektenstandes gleich.
Wenn das anstehende neue Verkehrskonzept zu einer notwendigen Neubewertung
und Gestaltung der Stadtplätze führt, und diese noch weitreichenderen
Themen auch in dieser Vorgangsweise angegangen werden, dann steht Hohenems
nicht nur ein Nibelungensaal, sondern eine veritable Götterdämmerung
ins Haus.
Robert Fabach

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