Wenn das Vorwort eines Kulturlandesrates mit dem Konjunktiv des "nicht Geglückten" beginnt, mit dem „Hätte sein sollen“, und dem „Scheitern an politischen Widerständen“, wenn Architektur "konfrontiert" wird, sich „auseinandersetzt“ – also zerlegt – und schließlich „völlig unerwartet gelingt“, dann weiß man, man ist in der Steiermark.

„Raum, verschraubt mit der Zeit ist das zweite Architekturjahrbuch, das gekoppelt mit dem biennal vergebenen Architekturpreis des Landes Steiermark, dessen Abwicklung über das Haus der Architektur erfolgt, erscheint. Durch diese Verknüpfung  ist eine regelmäßige publizistische Dokumentation aktuellen Baugeschehens in der Steiermark gewährleistet.“ So Eva Guttmann, beherzte Leiterin des Hauses der Architektur in Graz, der auch ein ungewöhnliches Jurykonzept zu verdanken ist, das einem/er nicht in Österreich ansässigem Kurator/Kuratorin, die alleinige Auswahl und Entscheidung für einen Preisträger überträgt.

Der Kurator zwischen Erzherzog Johann und Erich Fried
Es scheint etwas in diesem Land zu sein, das die selbst geschaffenen Extreme liebt. Dies spricht auch aus den Zeilen des Kurators, der zu dieser extremen Form der Auswahl eingeladen wurde. Nicht eine Jury entscheidet, vier oder fünf Personen, abwägend im Gespräch, sich beratend, langsam Gewissheit gewinnend. Nein. Ein Kurator soll es sein, einer allein und der diesjährige Kurator, Hubertus Adam, beginnt seinen Essay im Ausstellungskatalog, quasi den Jurybericht mit der Selbstoffenbarung seiner Einsamkeit, der er sich mit bewußter Subjektivität stellt: Hubertus Adam, geb. 1965 in Hannover, Kunsthistoriker, Philosoph, seit 1992 schreibend, rezensierend, Redakteur der Berliner „Bauwelt“, der Zürcher „archithese“, seit 1998 in der Schweiz lebend und seit einem Jahr künstlerischer Leiter des Schweizer Architekturmuseums in Basel, reist durch die Steiermark und besichtigt 10 von 60 eingereichte Bauten, die er selbst zuvor nominiert hat.

Das Prozedere verdeutlicht, daß derartige Preise nicht heilige Gerichte sind,
sondern Gradmesser für die baukulturelle Entwicklung der Region und auch wesentlicher Bestandteil einer inhaltlichen Reflexion.

In der Ausstellung „Raum, verschraubt mit der Zeit“, die in Zusammenarbeit mit dem Kurator konzipiert wurde, werden jene zehn Projekte vorgestellt, die aus den über sechzig Einreichungen nominiert wurden. Der Katalog dazu, ein bibliophiles Sonderstück, gestaltet von Gabriele Lenz, führt in zwei säuberlich getrennten Buchteilen die Schwarz-Weiß Fotografien von Hertha Hurnaus und die Texte von Hubertus Adam, der neben einem einleitenden Essay in die Objektbeschreibungen kleine Exkurse zur steirischen Architekturgeschichte als zweite Ebene einfließen läßt.
Hurnaus Fotos fangen den Betrachter ein, mit einer Spur von Schnappschuss, der Distanz und zugleich der Genauigkeit des Schwarz-Weiß. Menschen, Beiläufiges und Details aus dem Alltag verleihen den Aufnahmen ein sehr präzises Momentum der Orte und eine für Architekturfotografie einnehmende Natürlichkeit, die mitunter von den technisch-optischen Verzerrungen der Architekturfotografie gestört wird.

„Parametrical Design goes Doppelliter“
Adam bezieht sich in seinem Essay auf ein kontemplatives Gedicht von Erich Fried, aus dem auch der Titel generiert wurde. Das Bild einer Doppelwendeltreppe, die sich auf den Absätzen immer wieder trifft und die Erich Fried als Metapher der Selbstbegegnung, der Reflexion heranzieht. Seine Wegbeschreibungen, seine manchmal langwierige Suche nach den Gebäuden geben subtil etwas von dem Kontext wieder, in dem diese meist sehr emotionalen und komplizierten Architekturen stehen. Der Geist des Ungewöhnlichen, des Aufruhrs scheint sich dann im Dickicht des steirischen Alltags zu verfilzen. Diese eigentlich immer wieder sympathische Vereinnahmung der Rebellion durch die ländliche Treuherzigkeit und Eigenart zeigt sich auch im Projekt der diesjährigen Preisträger, Weichlbauer und Ortis. Ein Landwirtsehepaar aus Laufnitzdorf möchte sich ein neues Wohnhaus bauen und freundet sich dabei unversehens mit zwei „Architekur-Rocker“ an, die ihnen aus einem zufallsgenerierten Entwurfsprozess Stiegenfertigteile als Tragelemente und Fensterflügel als Absturzsicherungen verbauen und das Ganze schließlich mit Kunstrasen überziehen. Die guten Leute finden das schließlich praktisch und sympathisch und stehen auch dazu. 

Eine wunderbare Hartnäckigkeit
Es spricht von Kontinuität, wenn der sprachliche Duktus aus den 80er Jahren wieder erkennbar wird, der Zeit jähen steirischen Architekturwunders, das seine Energie aus den Zeichensälen der Grazer Universität und nächtlich belebten Architekturbüros zu ziehen schien. Reinhold Weichlbauer und Albert Josef Ortis mischen auch in fulminanten Vorträgen über ihre Arbeit computergenierte Formfindung ganz lustvoll mit dem Dunst von derbem Hedonismus: Da fließen dann Zahlenwerte aus dem österreichischen Pro-Kopf-Bierkonsum, Waschmitteltestergebnisse und Blutwerte aus dem letzten Arztbesuch der Architekten in die Formfindung ein,. Auch nach hartnäckiger Befragung läßt sich nicht wirklich herausfinden, wo die Grenze zwischen raffinierter Ironie und trotziger Pubertät verläuft.
Kontinuität und größte Hartnäckigkeit zeigt sich auch im Selbstverständnis der steirischen Architekten, die heute unter sehr schwierigen Bedingungen ihre Kunst leben, in denen die Planer einer unbarmherzigen Bauwirtschaft und einem reichlich mitleidlosen Bauträgerwesen in der Steiermark ausgesetzt sind. Das steirische Architekturwunder war seinerzeit letztlich eine sehr wilde und zugleich verletzliche Pflanze, genährt von wenigen Mentoren. Heute scheint sie robuster und professioneller, aber kaum weniger wild.

Diese Kombination von Experimentiergeist, Aufruhr und Feingefühl ist auf jeden Fall sehenswert und zeigt eindrücklich mit welcher Breite und mit welcher Varianz Architektur entstehen kann. Hubertus Adam und Hertha Hurnaus sei es schließlich gedankt, dies so stimmig in ein Buch und eine Ausstellung verpackt zu haben.

*Natürlich sei Reinhard Peter Gruber für diesen unnachahmlichen Aphorismus gedankt, der in seinen Büchern in etwa zeitgleich mit dem Aufflackern der architektonischen „Grazer Schule“ diesem steirischen Existentialismus Ausdruck verliehen hat.

Robert Fabach

Ausstellungsdauer:

Produktion: HDA Graz
Kurator Landespreis der Steiermark: Hubertus Adam
Ausstellungskuratierung: Hubertus Adam, Eva Guttmann
Ausstellungs- und Buchgestaltung: Gabriele Lenz

Projektpartner: bene

Programm
Ausstellungseröffnung 18|10 19:00 Uhr.

16|11|2011 19:00 Uhr
weichlbauer ortis
Reinhold Weichlbauer, Arch. DI
Albert Josef Ortis, Arch. DI

23|11|2011 19:00 Uhr
terrain:loenhart&mayr BDA landscape urbanism
Klaus K. Loenhart, Univ.-Prof. DI Architekt, MLA Landscape Architect Harvard GSD,
MDesS History & Theory Harvard GSD

30|11|2011 19:00 Uhr
Gangoly & Kristiner Architekten ZT GmbH
Hans Gangoly, Prof. DI

Öffnungszeiten
Di-Fr 14 -17 Uhr, Sa 11-17 Uhr
und nach Vereinbarung
VAI - Vorarlberger Architekturinstitut, Marktstrasse 33, Dornbirn.
Di - Fr 13-17 Uhr, Sa 10 - 17 Uhr.
Info: www.v-a-i.at