Landschaft und Körper                  

Marie Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs sehen ihre Architektur selbst am liebsten als Landschaften, als offene Systeme von Möglichkeiten. Möglichkeiten, die sich über Multifunktionalität hinaus auf Vorstellungsvarianten und emotionale Exkursionen ausdehnen lassen. Ein Anspruch, der auch daraus deutlich wird, dass sie ihre Bauten und Projekte stets mit einer medialen Hülle versehen, die wie ein weiteres Fassadenkleid die Wahrnehmung lenken, fassen, färben, manchmal verschleiern will. Das Seebad in Kaltern ist eine solche Landschaft. 2002 entworfen, 2004 auf der Biennale in Venedig präsentiert, in Berlin für „Jung und Schön“ erklärt, von der lokalen Opposition verhöhnt, schließlich umgeplant, touristisch beworben und in wortschweren Abhandlungen zur Vortragsreife erhoben, hat dieses Projekt fast schon überschwer an seinem Bedeutungsmantel zu tragen. Wenn man all dies etwas abstreift, lassen sich viele seiner Möglichkeiten auch ganz einfach erfahren. Ganz wie es die Badegäste tun.

Ein Körper in der Landschaft
Die Kulturlandschaft um die Weinbaugebiete Tramin, Eppan und Kaltern erfährt neben den Überlagerungen aus dem Tourismus und ihrer deutsch-italienischer Zweisprachigkeit neuerdings gerade einige zeitgenössische Akzente, die vom avancierten Selbstverständnis der internationalen Weinwelt ihren Ausgang genommen hat.Vor diesem Hintergrund und dank guter Kräfte wurde Anfang 2002 am Grundstück des alten Seebades ein Wettbewerb für ein kombiniertes Hallen- und Freibad ausgeschrieben, dessen Jury mit Marcel Meili und Walter Angonese das Projekt von tnE prämierte. Nach politischen Polemiken und einem negativen Volksentscheid konnten die Architekten in einer neuerlichen Studie mit einem abgewandeltem Vorschlag ohne das Hallenbad nochmals gegen zwei Gegner aus dem Dunkel zu überzeugen. Nach einer anspruchsvollen Bauphase wurde schließlich das neue Seebad am 26. Juli 2006 eröffnet.

Von der Strasse und einem langgezogenen, flach geneigten Parkplatz kommend, nimmt man zuerst nur den sanften Übergang in eine  holzgedeckte Plattform wahr. Darauf scheiden zwei dunkelrote Kioske eine schmale öffentliche Promenade und den eigentlichen Badebereich dessen kantige Kontur ein Sportbecken und ein Kinderbecken umfährt. Das „Sonnendeck“  gibt sich unauffällig, fängt den Herabsteigenden sanft auf und öffnet an der Promenade neugierigen Spaziergängern Einblicke auf die Becken in denen sich zwei Eisschollen aus Edelstahl und Beton etwas ungewöhnlich breit machen. Der zweite Kiosk mit dem unvermeidlichen Souvenirlokal für Wein und Speck, einem öffentlichen WC und einer kleinen Bar für Getränke und Imbisse funktioniert nach innen und außen. Ein breiter frei aufgestellter Tresen schließt die Promenade ab, lässt sich aber auch verschwenken, um abendliche Besucher nach Badeschluss auf eine mondänen Terrasse bitten zu können, in denen die Schwimmbecken sich zu spiegelglatten Pools wandeln. Der Kiosk wird Bar und bedient auch einen kleinen Veranstaltungsbereich. Denn von dort klappt sich das Deck zur Tribüne auf die Liegewiese, ist aber auch Abgang zur wahren Attraktion. Wer vom Sonnendeck absteigt, dem zeigt sich eine steinerne Unterwelt, die sich unter das ganze Sonnendeck erstreckt. Dorthin gelangt auch, wer am Eingang entlang der anderen Kioskflanke das Bad betritt und über einen Abgang sofort unter den emporwachsenden Flugzeugträger tritt. Dort befinden sich, frei aufgestellt, Umkleiden, Duschen und Garderobenkästchen. Ein Patchwork von Bodenflächen geht direkt in die Liegewiese des Strandbads über, endet am See, auf den sich nochmals ein polymorph geformter Landungssteg verzweigt. So wird das Betonflächenwerk zum gigantischen Sonnenschirm oder zum akustisch wirksamen Regendach für Veranstaltungen. Ähnlich freundlich verhält es sich zum alten Restaurantgebäude von 1956, das es sorgfältig umrahmt, dessen Innenraum die Architekten aber kräftig umgedeutet haben. Sein markantes und  zu Boden gerichtetes Dach fängt das betonschwere Aufatmen des Sonnendecks wieder ein und bildet zum See den versöhnlichen Kontrapunkt.

Wechsel von Künstlichkeit und Landschaft

Das Konzept der schwebenden Plattform verdoppelt die Nutzflächen, schafft Räume für lustvoll Badende. Das Freibad als kleiner bürgerlicher Exzess hat mit seiner Sonderstellung in der alltäglichen Kultur der Körperkontrolle immer schon Anlass geboten zu besonderer Sinnlichkeit, zum archaischen Experiment mit dem eigenen Körper. Dieser Entwurf geht den Weg dieser Bedürfnisse entschlossen weiter: Regenraum, Hitzeraum, Sprudelbecken und vor allem das Traumgebilde des Deckenfensters in das Wasserbecken sind vor allem manifest gewordene Wege in die kontingente Welt des eigenen Inneren.
„Ein Stück See heraus zu schneiden“ und an Land allseitig sichtbar aufzustellen, beschreiben tnE als gedankliche Strategie im Entwurfsprozess. Dieses scheinbar spielerische Statement mit vollem Ernst in die Tat umgesetzt, setzt eine Welle von Zusammenhängen und Optionen frei. Diese Vision und das formale Gestaltungsvokabular von tnE – das man ruhig davon isolieren mag – können bei dieser Anwendung ins Volle greifen. Keine thermisch abgeschlossenen Dienstbarkeiten müssen sich um spitzwinkelige Konturen quälen. Die Funktion des Freibads kommt der Idee der Architektur als Landschaft entgegen. Die plastisch starke Untersicht entwickelt sich kraftvoll organisch zu einer eindrucksvollen Traumlandschaft, deren Form mit Hilfe von 1:10 Kartonmodellen und Computersimulationen überprüft wurde. Dennoch bleibt immer wieder die Lust an Brüchen, die Intellektualität mancher Entscheidungen spürbar. Wenn diese Organik vom Konzept des Ausschnitts barsch unterbrochen wird, oder in der Materialwahl, die sich vor allem über Bedeutungsebenen entscheidet. Auch in den konstruktiven Lösungen bleibt der abstrakte Formwille stärker spürbar als die Logik oder Sinnlichkeit des Materials.

Vorrangig wurde mit dem physischen Kartonmodell gearbeitet, das zwischendurch immer wieder digitalisiert wurde. Die endgültige  Form der Stützkörper wurde schließlich mit Hilfe von 1:10 Modellen überprüft und fixiert. Deren freigeformte Konstruktion war eine ganz besondere Herausforderung für die Ausführenden. Schon die Tragwerksplanung war nur durch dessen Erfahrungen und Techniken des Büro Bergmann aus dem Brückenbau möglich. Unterschiedliche Betongüten und spezielle Rezepturen waren notwendig um den Betonhohlkasten zu giessen, der mit dreidimensional gefrästen Styroporkörpern gefüllt wurde. In dessen Innerem wurde auch die Schwimmbadtechnik geführt und eine durchgehende Edelstahlwanne in Glasschaumgranulat eingelassen um auf die Dichtigkeit des Betonkörpers mit seinen komplexen Spannungen nicht angewiesen zu sein.

„Das Mischen von Systemen interessiert uns, wir sprechen nie von Harmonie.“
Die Idee des Ausschnitts wird zum See hin zur kräftigen Kontur, die mit einer frechen Opposition zum unsichtbaren Randdetail der Moderne begrenzt wird. Eine üppige Metallkonstruktion mit Drahtgitterbrüstung wird von einem Schwebebalken von Handlauf begrenzt. 14 x 12cm Brettschichtholz aus unbehandelter Lärche jodelt plötzlich ein bisschen und ist mehr als man zum Drauflehnen braucht.
Auch hier leistet der Systembruch mit dem munter grellen Bojen-Rot etwas Undefinierbares. Inmitten gestalterischer Kühnheit holt er etwas von der Unbeschwertheit des einfachen Badevergnügens aus den 50er Jahren zurück, als Gestaltung noch so etwas wie „Schmissigkeit“ hatte. Die verschiedenen Rottöne scheinen mal von den italienischen Strassenverwaltungsgebäuden, mal von den benachbarten Sonnenschirmen entlehnt. Das Rot der Kioske stammt von rot pigmentierter Heissspritzfolie, mit der die Konstruktion aus KERTO-Platten überzogen wurde.

„Italien besitzt eine Summe von Rostflecken“ behauptet Ernst Fuchs und sucht in den vielfältig geneigten Betonkörpern Spielflächen für die verschiedensten Varianten von Patina. Next Enterprise gelingt es das Undefinierte einfließen zu lassen. Ob im Material, oder im Raum, der erst in der Benutzung seine Funktionen findet, Raum, der „erobert werden will“.