Wissenschaft des Städtebaus


Erich Raith
seit 1999 Interimistischer Leiter des Instituts für Städtebau, TU Wien

"Im Moment passiert etwas sehr Spannendes. Nachdem man Jahrzehnte lang mit den Methoden der Raumplanung versucht hat, gegen die Zersiedelungstendenzen anzukämpfen, und das aus guten Gründen auch heute noch macht, hat man zum Teil auch erkannt, dass diese Instrumente untauglich sind, weil man damit nicht wirklich auf diese Systemkomponenten zugreifen kann. Es ist der Versuch, Symptome zu bekämpfen - kosmetisch, aber wenn man die Motoren hinter dieser Entwicklung nicht in die Hand bekommt, wird man in diesen Bestrebungen nicht effizient sein können. Das was in der Raumplanung heute passiert, ist, dass man eher aufhört, den urban sprawl, diese Zersiedelungsbewegungen, als totale Fehlentwicklungen zu sehen, gegen die man sich stemmen muss - in der Gewissheit des Scheiterns, und man beginnt, sich für dieses Phänomen zu interessieren, man beginnt, es ernst zu nehmen. Wenn dies schon so passiert, wenn soviel individuelle Interessen da sind, die hinter diesen Entwicklungen stehen, wenn man das so schlecht steuern kann, was ist es also wirklich? Hat es eine Logik?

Es hat also nicht mehr die Logik der alten Stadt und ist deshalb nicht mit den klassischen städtebaulichen Zugängen zu beherrschen. Es hat auch nicht mehr die Logik der klassischen Kulturlandschaft, deswegen ist es auch nicht mit diesen landschaftsplanerischen Zugängen zu beherrschen.

Es entsteht etwas Neues. Es entsteht ein Gemisch aus urbanen, ruralen , land-schaftlichen und völlig neuen Phänomenen. Dies entsteht aufgrund von vielen individuellen Entscheidungen, die alle für sich rationell sein mögen, d.h. klarerweise ist dies eine kulturelle Leistung, die dieses hervorbringt, es ist aber wieder ein neuer Transformationsprozess des Territoriums, wo neue Mischungen von ländlichen, landschaftlichen, städtischen Aspekten stattfinden, wo sich diese Grenzen auflösen, wo ein Lebensraum entsteht, wo ein wesentlicher Faktor des Urbanen da ist, nämlich dass Leute sich entscheiden können, welche Alltagskultur sie praktizieren. Weil es ein breiteres Spektrum gibt zu leben, sich zu entfalten, wo man ganz unterschiedliche Lebensentwürfe realisieren kann." . . .

Auszug aus einem Interview vom 19.1.2004